Sind Sie ein Narzisst? – Wenn die Welt nur um das „Ich” kreist

Sigrun Saunderson | MEDIZIN populär 5/2017

Er liebt nur sich selbst, überschätzt seine eigene Person und entwertet andere, es mangelt ihm an Empathie, gleichzeitig ist er selbst schnell tief gekränkt und kann aus dieser Kränkung heraus sogar gewalttätig werden. – Der Narzisst gilt für manche als Inbegriff des Bösen. Umgekehrt geht aber kaum ein Mensch völlig ohne narzisstische Anwandlungen durchs Leben. Und auch wenn es unwahrscheinlich klingt: Narzissmus ist heilbar.

 

 

 

Seit dem Tag, als Donald Trump zum Präsidentschaftskandidaten nominiert wurde, kennt jeder, der Zeitungen liest, die typischen Merkmale des Narzissmus auswendig. Vor allem Trumps Kritiker werden nicht müde, den neuen US-Präsidenten als Narzissten wie aus dem Lehrbuch zu portraitieren. Nicht ohne Grund. Überhöhtes Selbstwertgefühl: „Ich werde der goßartigste Arbeitsplätze-Präsident sein, den Gott jemals geschaffen hat.“ Selbstidealisierung: „Ich allein kann es richten.“ Erhöhte Kränkbarkeit und Entwertung seiner Gegner: „Meryl Streep ist eine der meist-überschätzten Schauspielerinnen“ , „Angela Merkel ist geisteskrank“, „Obama ist ein kranker Typ“ ... 

 

Ob dieses Verhalten wirklich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung nahelegt, oder ob Trump nur ausgeprägtere narzisstische Verhaltensweisen zeigt als der Durchschnitt, darüber sind sich Psychologen nicht so einig, wie es in den Medienberichten scheint. Denn haben tun wir sie alle, die narzisstischen Anwandlungen. „Narzisstisches Verhalten zeigt jeder Mensch ab und zu“, erklärt der Psychiater und Neurologe Reinhard Haller, Autor von „Die Narzissmusfalle“. „Vor allem wenn man plötzlich Macht gewinnt, aber auch unter Alkoholeinfluss kann man vorübergehend narzisstisch reagieren. Von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung spricht man dann, wenn dieses Verhalten permanent vorhanden ist und über Jahre konstant bleibt. Gefährlich wird Narzissmus erst, wenn auch ein kriminelles Element dazukommt.“

 

Ferndiagnosen sind unethisch

 

Genau dieses kriminelle Element meint der amerikanische Psychologieprofessor John D. Gardner in Trump diagnostizieren zu können, wenn er ihn öffentlich als „malignen Narzissten“ und „Soziopathen“ bezeichnet. Der Wiener Psychiater und Neurologe Raphael M. Bonelli hält solche Ferndiagnosen für unethisch. „Ein maligner Narzisst wäre ein Sadist, jemand, der seine Opfer quält und oft sogar tötet“, so Bonelli. „Es gibt bei Trump narzisstische Anzeichen, aber man darf das nicht übertreiben, nur weil man nicht mit seiner Politik einverstanden ist.“ Zu oft schon hätte sich die Psychiatrie von totalitären Regimen missbrauchen lassen. „Die psychiatrische Diagnose darf keine Keule werden im politischen Umgang miteinander, denn das verunmöglicht Beziehungen.“

 

Schauplatz der Narzissten

 

Hitler, Erdogan, Putin und jetzt Trump – die Politik ist eine Bühne, auf der selbstverliebte Narzissten ihre Neigung herrlich, aber auch gefährlich, ausleben können. Und zwar nicht nur die ganz Großen. Das bestätigt auch Volker Plass, ehemaliger Bundessprecher der Grünen Wirtschaft und langjähriger Politbeobachter. „In der Politik gibt es zwar ein weites Feld von Charakteren, ich glaube aber, dass sie tendenziell Leute mit narzisstischen Neigungen anzieht. Die findet man übrigens in jeder Partei. Sie sehen die Politik dann als Machtspiel, bauen einen Personenkult um sich auf, arbeiten an ihrer medialen Präsenz ... Diese Leute sind nicht besonders für ihre Teamorientierung bekannt und gehen auch intern über Leichen, um ihre Karriere zu befördern.“ Und sie kommen auch häufiger an die Entscheidungspositionen. „Das Angeben, die Schaumschlägerei wirkt in der Politik oft mehr als inhaltliche Expertise und Nachdenklichkeit.“

 

Narzisstisches Verhalten wirkt also, und zwar auch bei den Wählern. Plass meint sogar, dass die Erwartungshaltung der Menschen den Narzissten oft entgegenkommt. „Viele Wählerinnen und Wähler neigen zu starken Typen, sie wollen geführt werden, ihre Verantwortung abgeben. Das heißt dann aber auch, dass oft problematische Charaktere an die Macht kommen.“

 

Der Narzisst in uns

 

Als problematischer Charakter präsentiert sich Trump zweifellos. Warum er trotzdem zum Präsidenten gewählt wurde, ist aus psychologischer Sicht einfach erklärt: „Die Ideale der ganzen Gesellschaft sind bereits sehr narzisstisch geworden. Deshalb wurde Trump ja auch gewählt – nicht obwohl, sondern weil er narzisstisch ist“, ist Haller überzeugt und lenkt damit die Aufmerksamkeit auch auf gesellschaftspsychologische Fragen. Denn wie gesagt, narzisstische Anwandlungen haben wir alle. Und sie scheinen weit verbreitet zu sein.

 

Die narzisstische Entwertung jedenfalls ist in den Augen Bonellis längst gesellschaftsfähig geworden, nämlich in Form der Empörungskultur. „Man empört sich immer mehr über die politische Ansicht des anderen und lässt sie nicht mehr gelten. ,Mit dem redet man nicht’, ,Mit dem darf man keine Koalition machen’ ..., diese Ausgrenzung ist relativ neu. Auch die politische Korrektheit gehört da hinein. Ich nenne das moralischen Narzissmus, weil man sich moralisch über den jeweils Andersdenkenden stellt und dem anderen die demokratischen Rechte abspricht. Das geht Links gegen Rechts genauso wie Rechts gegen Links. Auch die unseriösen Ferndiagnosen der Trump-Kritiker haben selbst einen narzisstischen Einschlag, weil sie ihn persönlich entwerten.“

 

Der Weg heraus

 

Narzisstischem Verhalten mit Argumenten beizukommen, ist von Natur aus schwierig. Denn in seiner Welt hat der Narzisst selbstverständlich immer Recht. Noch schwieriger ist es, einen krankhaften Narzissten zu heilen. In seinem Buch „Männlicher Narzissmus“ zeigt Bonelli einen möglichen Weg aus den narzisstischen Fesseln auf. Was dabei von vornherein klar sein muss: Man kann einen Narzissten nicht ändern, nur er kann sich ändern. Und das ist nicht ganz so undenkbar, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn nicht immer führt diese extreme Selbstbezogenheit zu großem Erfolg – viel öfter zu großem persönlichen Leid, und daher manchmal sogar in die Praxis des Psychiaters.

 

Dieses Leid entsteht vor allem dadurch, dass das Idealbild, das der Narzisst von sich in seiner Vorstellung trägt, nicht der Wirklichkeit entspricht. Probleme im Umgang mit Anderen sind somit vorprogrammiert. „Narzissten sind zum Beispiel enttäuscht von der Welt, die sie mit ihrem unglaublichen Talent nicht wahrnehmen und bewundern will. Wenn der tosende Applaus nicht kommt, sind sie stocksauer. Tatsächlich sind sie aber selbst nicht fähig, sich so einzuschätzen, wie sie wirklich sind“, so Bonelli.

 

Aus dieser „narzisstischen Kränkung“ heraus schädigt der Betroffene nicht nur andere, sondern auf Dauer auch sich selbst, da er damit sein eigenes Gemeinschaftsgefühl und seine Integration in der Gruppe verhindert. Gäbe es den rein narzisstischen Menschen, der ausschließlich sich selbst wahrnimmt, wäre ihm auch das egal. Doch den gibt es laut Bonelli nicht. Auch wer starke narzisstische Verhaltenweisen zeigt, trägt gleichzeitig einen gesunden Anteil in sich. „Der gesunde Anteil leidet unter dem narzisstischen Anteil. Und über diesen gesunden Anteil sind Narzissten erreichbar.“

 

Doch einfach ist es nicht. Viel eher ähnelt der Umgang mit einem Narzissten einem Drahtseilakt. Einerseits muss ihn sein Gegenüber darauf hinweisen, wie verletzend seine Handlungen sein können. Andererseits darf das nicht in frontaler Kritik ausarten. Denn auf diese reagiert der Narzisst reflexartig tief gekränkt und mit einem – garantiert schmerzvollen – Gegenangriff.

 

Der Schlüssel einer erfolgreichen Therapie liegt laut Bonelli daher in der Selbsterkenntnis kombiniert mit dem Willen des Narzissten, seine problematischen Verhaltensweisen aufzugeben. Um diese Selbsterkenntnis beim narzisstischen Gegenüber anzuregen, rät Bonelli, sich auch selbst auf die Suche nach den eigenen narzisstischen Anteilen zu machen. „Es ist gesund, wenn man diese in sich erkennt. Und wenn ich dann dem großen Narzissten gegenüber meine eigenen narzisstischen Anteile zugebe, dann kann er sie auch in sich leichter erkennen und zugeben.“